
Strategie für die Provenienzforschung
Der Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft und die Geschäftsleitung des Kunsthauses Zürich haben im März 2023 eine Strategie für die Provenienzforschung aufbauend auf bereits vorhandenen Strategien in Schweizer Museen verabschiedet. (*2) Sie umfasst wie im Folgenden ausgeführt u. a. die konsequente Überprüfung von Neuzugängen und Leihgaben, einen transparenten und lösungsorientierten Umgang mit Verkäufen ausserhalb des NS-Machtbereichs sowie ein proaktives und bei klaren Sachverhältnissen dezidiertes Vorgehen bei Verdacht auf NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut.
Entscheidungsfindung und -befugnisse für «faire und gerechte Lösung»
Für jeden Einzelfall findet die Entscheidungsfindung über eine «faire und gerechte Lösung» durch den Provenienzausschuss der Direktion auf der Grundlage der Ergebnisse der Provenienzforschung statt. Der Provenienzausschuss umfasst die Direktion, die Sammlungsleitung, die Leitung Provenienzforschung sowie eine juristische Vertretung. Dem Provenienzausschuss wird als unabhängige Instanz für die Beratung und Antragsformulierung eine internationale Expertenkommission zur Seite gestellt. Der Provenienzausschuss legt sodann einen Antrag über das weitere Vorgehen an den Vorstand unter Vorsitz des Präsidenten vor. Die Entscheidungsbefugnisse über eine «faire und gerechte Lösung» gemäss der Washingtoner Erklärung liegen nach §17 Abs. 9 der Statuten (*4) bei Werken im Eigentum der Zürcher Kunstgesellschaft beim Vorstand unter Leitung des Präsidiums.
Wichtige Begriffe im Kontext der Provenienzforschung
Provenienzforschung
Provenienzforschung
Ziel der Provenienzforschung ist die Klärung und Publikation der Herkunft und der Besitzverhältnisse von Kunstwerken zurück bis zu deren Entstehung. Im besonderen Fokus stehen Werke, bei denen in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und der damit im Zusammenhang stehenden Eroberungen weiter Teile Europas zwischen 1933 und 1945 ein Besitzerwechsel erfolgte.
NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter
NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter (=NS-Raubkunst)
Als NS-Raubkunst gelten Werke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet wurden. Es handelt sich um Kulturgüter, die ihren vorwiegend jüdischen Eigentümerinnen und Eigentümern durch die Nationalsozialisten entweder auf dem Weg gewaltsamer Wegnahme («Beschlagnahmung») oder durch von den NS-Behörden angeordnete Zwangsverkäufe entzogen wurden. Während direkte Beschlagnahmungen vor allem in den von Deutschland besetzten Gebieten ab 1939 vollzogen wurden, erfolgten die innerhalb Deutschlands unter Druck veranlassten Zwangsveräusserungen vor allem unter Anwendung der 1935 erlassenen sogenannten «Nürnberger Gesetze», die die Grundlage für die systematische Verfolgung und Enteignung von Jüdinnen und Juden bildeten. Demzufolge wird heute davon ausgegangen, dass ein allfälliger Ertrag aus solchen Zwangsverkäufen – wenn er überhaupt marktkonform war – den ehemaligen Eigentümerinnen und Eigentümern nur eingeschränkt oder gar nicht zugeflossen ist.
Raubkunst in Form von Beschlagnahmung durch NS-Behörden war Gegenstand der Washingtoner Erklärung von 1998, in welchen sich die unterzeichnenden Staaten – unter ihnen die Schweiz – verpflichteten, noch offene, nicht durch Restitution geklärte Fälle nach dem Prinzip der fairen und gerechten Lösung zwischen den Vorkriegseigentümerinnen oder deren Erben und den heutigen Eigentümerinnen und Eigentümern zu lösen. Raubkunst durch Zwangsverkäufe und andere unter Druck vollzogene Massnahmen war Gegenstand der Folgeerklärung von Terezín von 2009, die den Begriff der Raubkunst auf «NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter» erweiterte. Damit sollen auch Kulturgüter, die infolge NS-Verfolgung verkauft wurden, einer Regelung unterstehen, die sich an der Washingtoner Erklärung orientiert.
Faire und gerechte Lösungen
Faire und gerechte Lösungen
Das Spektrum der «fairen und gerechten Lösungen» reicht von der öffentlichen Würdigung der Entzugsumstände im Sinne der Erinnerungskultur durch eine Ausstellung, oder durch Erwähnung der Provenienzgeschichte beim gezeigten Werk im Museum über die Bezahlung von Entschädigungen, den Verkauf an Dritte unter Aufteilung der Erlöse, oder den Ankauf durch Dritte mit nachfolgender Leihgabe an die heutigen Besitzerinnen und Besitzer bis zur Rückgabe (Restitution) eines Kunstwerks.
Forschungsprojekte
Die Sammlungszugänge 1946–1960 (2023–2024)
Die Zugänge der Sammlung Gemälde und Skulpturen 1946–1960 (2023–2024)
Das vom Bundesamt für Kultur geförderte Projekt «Die Zugänge der Sammlung Gemälde und Skulpturen 1946–1960 (2023–2024)» wird die Handwechsel während der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945 der Erwerbungen der Nachkriegsjahre zwischen 1946 und 1960 der Sammlung Gemälde und Skulpturen des Kunsthaus Zürich systematisch untersuchen. Das Projekt umfasst in einem ersten Schritt die Prüfung der vorhandenen Provenienzangaben von 248 Werken. In einem zweiten Schritt werden rund 80 Werke am Original untersucht und dokumentiert sowie die Provenienzen dieser Werke überprüft, ergänzt und erforscht.
Die Ergebnisse werden sukzessive in der Sammlung Online publiziert.
Die Schenkungen Ruzicka/Bär/Haefner (2021–2023)
Die Provenienzen der Schenkungen Leopold Ruzicka (1949), Nelly Bär (1968) & Walter Haefner (1973–1995) (2021–2023)
Das vom Bundesamt für Kultur geförderte Projekt «Die Provenienzen der Schenkungen Leopold Ruzicka (1949), Nelly Bär (1968) & Walter Haefner (1973–1995)» untersucht von den drei zentralen Schenkungen der Nachkriegszeit die Handwechsel während der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945. Dabei werden die 74 vor 1945 entstandenen Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen der drei Schenkungen am Original untersucht und dokumentiert, der kunstwissenschaftliche Korpus aufgearbeitet und die Provenienzen der Werke überprüft, erforscht und ergänzt. Das Projekt umfasst die heute 47 Werke zählende Altmeistersammlung von Leopold Ruzicka sowie die beiden hochkarätigen Schenkungen zur französischen Moderne von Nelly Bär und Walter Haefner, die 28 resp. 14 Werke umfassen. Damit werden die umfangreichen und zentralen Zugänge von privaten Leihgeberinnen und Leihgebern sowie Donatorinnen und Donatoren erstmals beispielhaft systematisch erforscht, dokumentiert und publiziert.
Die Ergebnisse werden sukzessive in der Sammlung Online publiziert.
Briefkopienbücher ZKG / KHZ 1933–1945 (2021–2022)
Briefkopienbücher ZKG / KHZ 1933–1945 (2021–2022)
Wilhelm Wartmann (1882-1970), der erste Direktor des Kunsthauses Zürich, war von 1909 bis 1949 im Amt. Die umfangreichen Verwaltungsakten aus seiner Amtszeit sind bis heute ziemlich vollständig überliefert. Die Briefkopienbücher (Letterpress copybooks), in denen alle ausgehenden Schreiben des Kunsthauses enthalten sind, bieten mit ihren alphabetischen Empfängerregistern einen vorzüglichen Zugang zum gesamten Archiv und machen alle Vorgänge relativ leicht auffindbar. In den hier erstmals veröffentlichten 63 Bänden aus der Zeit von 1933 bis 1945 sind detaillierte Angaben zu Ausstellungen, Ankäufen, Leihvorgängen, Deposita, Verkäufen, Im- und Exportvorgängen und vieles mehr dokumentiert. Diese Informationen sind sonst nirgends zugänglich.
Die Briefkopienbücher sind in zwei Reihen unterteilt: «Ausstellung» und «Allgemeine Korrespondenz». Innerhalb der beiden Reihen sind die Briefe chronologisch abgelegt, so dass man einen Zeitraum einfach durchblättern kann. Da die Empfängerregister transkribiert wurden, ist die Suche nach Personen- und Körperschaftsnamen möglich. Die historischen Registereintragungen sind jedoch nicht immer vollständig.
Die Bände werden beginnend mit «Ausstellung» im Rahmen eines vom Bundesamt für Kultur geförderten Projekts nach und nach veröffentlicht.
Grafische Sammlung Zugänge 1933–1950 (2017–2019)
Grafische Sammlung Zugänge 1933–1950 (2017–2019)
Das vom Bundesamt für Kultur geförderte Projekt diente der Erforschung und Veröffentlichung der Provenienzen aller Neuzugänge der Grafischen Sammlung im Zeitraum von 1933 bis 1950. In dieser Zeit gelangten rund 10‘000 Werke auf Papier entweder als Schenkung oder als Erwerbung in die Grafische Sammlung. Rund 3'900 Blätter lagen im Fokus des Forschungsprojektes.
Bei keinem der Werke konnten eindeutige Hinweise auf einen konfiskatorischen Handwechsel und somit auf NS-Raubkunst gefunden werden. Rund zwei Drittel können somit als unbedenklich und lückenlos oder als lückenhaft ohne Hinweise auf bedenkliche Handwechsel eingestuft werden. Bei den restlichen Fällen konnte mindestens der Vorbesitzer identifiziert werden. Es besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf.
Die Ergebnisse werden sukzessive in der Sammlung Online publiziert und sind ab sofort online in unserer Werkliste einsehbar.
Sammlung Online für Provenienzen (2017–2018)
Online-Publikation der Provenienzen der Sammlung Gemälde und Skulpturen (2017–2018)
Die Provenienzen der Sammlung Gemälde und Skulpturen wurden im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Gesamtkatalogs der Gemälde und Skulpturen in den Jahren 2002 bis 2007 aktualisiert, vor allem auch jener Werke, die als Geschenke seit den 1950er Jahren ans Haus kamen. Die dokumentierten Provenienzen der Werke sind im Gesamtkatalog sowie in der Online-Werkliste publiziert und für jedermann einsehbar – sie werden sukzessive auch in der Sammlung Online aufgeschaltet, die dank der Unterstützung vom Bundesamt für Kultur entwickelt werden konnte
Alle Forschungsprojekte unterstützt von:

Faire und gerechte Lösungen
Einigung im Sinne einer «fairen und gerechten Lösung» mit den Erben von Alfred Sommerguth & Jean und Ida Baer
Anlässlich einer 2007 erfolgten, grösseren Schenkung von Gemälden Albert Kellers aus dem Nachlass des Zürcher Kunstsammlers Oskar A. Müller, veranstaltete das Kunsthaus 2009 eine Ausstellung über den Maler. Aufgrund des dabei erarbeiteten Katalogs konnten externe Sachverständige feststellen, dass es sich bei einem der Gemälde der Schenkung, dem Werk «Madame la Suire» um Raubkunst handeln könnte. Einst im Besitz des jüdischen Kunstsammlers Alfred Sommerguth, war das Werk, wie sich herausstellte, wenige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von den nationalsozialistischen Behörden in Berlin zwangsversteigert worden. Das Kunsthaus prüfte den Sachverhalt und bot den Nachkommen der ursprünglichen Besitzer nach Bestätigung des Verdachts an, das Werk zurückzugeben oder es ihnen abzukaufen. Die Nachkommen von Alfred Sommerguth beschlossen jedoch grosszügiger Weise, das Ölgemälde dem Zürcher Kunsthaus als Schenkung zu überlassen und verlangten lediglich, dass das Werk, wenn es ausgestellt wird, mit einem entsprechenden Vermerk versehen wird.
Ebenfalls betroffen war Alfred von Kellers Werk «Akt am Strand / Abend», das um 1940 von den Nationalsozialisten aus der Sammlung Jean und Ida Baer geraubt wurde. Es konnte 2012 aufgrund einer Übereinkunft mit den Erben und mit Hilfe der Schenkung von Hannelore Müller erworben werden.